Chronik der Innenstadt-Vereine

Das erste große Schach-Einzelturnier, war das Londoner Meisterturnier von 1851, das der Deutsche Adolf Andersson (Breslau) gewann. Die Deutschen Schachverbände, wie der Nordwestdeutschen Schachbund (NWSB), spielten Ihre regionalen Meisterschaften oft im Rahmen eines Osterkongresses aus, auf dem sich die Mitgliedsvereine trafen und Ihre Meister ermittelten. Ab etwa 1900 fanden die Kongresse jährlich statt.

Überregionale Mannschaftswettkämpfe waren vor 1900 wenig verbreitet. Gelegentlich wurden auch telegrafische Wettkämpfe gespielt, die oft mehrere Monate dauern konnten. Bekannt aus dieser Zeit sind meist Vergleichswettkämpfe, zwischen Großvereinen wie Bremen, Hannover oder Hamburg.

So spielte die Bremer Schachgesellschaft (1877) im Jahr 1900 gegen den Hannoverschen Schachklub (1876) mit jeweils neun Teilnehmern eine Doppelrunde. Man traf sich auf halber Strecke in Nienburg. Die Doppelrunde wurde um 15:30 gestartet. Gegen Mitternacht brausten die Teilnehmer mit der letzten Bahn zurück.

1887 gab es etwa 85 Schachvereine mit etwa 2.500 Mitgliedern im Deutschen Reich. Die Anzahl der Vereine stieg bis 1949 auf etwas unter 500 bei 25.000 Mitgliedern.

Bereits seit 1884 verfügten die ‚Bremer Nachrichten‘ über eine eigene Schachspalte. Hier wurden Schachaufgaben präsentiert. In den regionalen Zeitungen, wie der alten ‚Nordsee-Zeitung‘, finden sich vor 1900 keine Hinweise auf Schachaktivitäten.

Ein Schachspieler in Bremerhaven wird zum ersten Mal erwähnt am 15.08.1894 in den Bremer Nachrichten anlässlich des 5. Kongresses des NWSB. In einer Notiz wird berichtet, dass Postassistent Carl Ahrenbeck (13.6.1870 – 27.11.1929) aus Bremerhaven einen Dreizüger gelöst hatte. Das Schachrätsel war Teil eines Problemlösung-Turniers. Am Ende wurde ein Buchpreis ausgelost. Ahrenbeck ging leer aus.

15.08.1894 Bremer Nachrichten

1894 verschlug es Ihn nach Bremerhaven, wo er sich als Postgehilfe im Post- und Telefonamt Bremerhaven auf seine Prüfung zum Postassistenten vorbereitete. Das Post- und Telegraphenamt Bremerhaven war in der Schifferstraße untergebracht, wo sich bis vor wenigen Jahren noch ein Postamt befand. Von seiner Wohnung zur Arbeit brauchte er weniger als 15 Minuten

Carl Ahrenbeck um 1900 aus dem Werder Archiv

1909 war Ahrenbeck 1. Vorsitzender des SV Werder

Er lebte in seiner Bremerhavener Zeit (1894-1897) in der Poststraße 27, eine kleine Parallelstraße zur Deichstraße, etwa auf der Höhe Fährstraße. Die Poststraße existiert heute nicht mehr. Aus seiner Bremerhavener Zeit sind keine weiteren Überlieferungen über sein Schachwirken erhalten.

Es darf vermutet werden, dass Ahrenbeck in einem der Bremerhavener Bürgervereine oder in Cafés, wie z.B. dem heute noch existierenden Café National, nahe dem ehemaligen Postamt, mit Schachfreunden spielte. Gelegentlich pilgerte er nach Geestemünde, welches von seiner Wohnung wenige Minuten entfernt liegt.

Alte Geestebrücke um 1897

 Die Aufnahme entstand vor 1904, als alte Brücke durch die heutige Konstruktion abgelöst wurde. Das von Geestemünde aufgenommene Foto folgt dem Lauf der Fährstraße mit Abzweig in die Poststraße.

1897 kehrte Ahrenbeck nach Bremen zur Bremer Schachgesellschaft zurück. Er hielt sich lange hinter Carls, Hilse und Dr. Antze, als einer der stärksten Spieler des Vereins und belegte bei Vereinsturnieren regelmäßig vordere Plätze. Zeitweise war er Schriftführer. 1909 wird, der vielfältig Interesseierte, auch als Vorsitzender eines kleinen Fußballvereins, des SV Werder Bremen, genannt.

Wahrscheinlich hat Ahrenbeck die Gründung der beiden ersten Schachvereine auf dem heutigen Gebiet Bremerhavens im damaligen Alt-Bremerhaven und Geestemünde angeregt. Wie lange die Vereine vor Ihrem Beitritt (1904/1905) zum Verband (NWSB) bestanden ist unklar. Er selbst wird in der Keller-Chronik zuletzt im Jahr 1927, nun 56jährig, erwähnt. Ahrenbeck starb 1929 als Postinspektor.

Gesellschaftliche Veranstaltungen für Tanz- und Gesang, Skat- und Doppelkopf-Turniere oder Schwimmwettkämpfe wurden im späten 19. Jahrhundert in Bremerhaven von Gaststätten oder Vereinen gegen Eintritts- und für Preisgeld organisiert. Schachturniere finden sich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nicht im Anzeigenteil der alten Nordsee-Zeitung bzw. ab etwa 1895 in der Nordwestdeutschen-Zeitung. Auch die Rätselecken der in Bremerhaven gelesenen Zeitungen enthielten, anders als in Bremen, keine Schachrätsel.

1905 richtete der Hamburger Schachklub den 9. Kongreß des Niederelbischer Schachbundes (NESB) aus. Am Abend des 13. Mai 1905 traten 30 Delegierte zu ihrer Versammlung zusammen. Der NESB, vergleichbar mit einem heutigen Landesschachverband, umfasste auf der heutigen Fläche der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen insgesamt 16 Vereine: Altona, Kiel, Liensfeld (bei Eutin), Hamburger SK, Hamburg-Palamedes, Hamburg-Eimsbüttel, Hamburg-St. Georg v. 1898, Hannover, Bremer Schachgesellschaft 1877, Wandsbek, Elmshorn, Neumünster, Barmstedt, Otterndorf, Cuxhaven-Döse und als ersten genannten Bremerhavener Verein, Geestemünde.

Ein Schachverein in Alt-Bremerhaven, ohne genaue Nennung des Namens, wird erstmals 1906 auf dem 10. Kongreß erwähnt. Keller schreibt: „Neu zu den 16 Vereinen des NESB stießen die Schachvereine aus Bremerhaven, Hemelingen-Sebaldsbrück (der seit längerer Zeit bestand) und Woltmershausen (der im vergangenen Jahr (1905) gegründet wurde).“

Leider lässt die Chronik an dieser Stelle für den Bremerhavener Verein offen, ob es sich um eine Neugründung oder einen bereits länger bestehenden Verein handelte. Wir wissen aber, dass es spätestens ab 1906 einen aktiven Verein auf dem Alt-Bremerhavener Stadtgebiet gab. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, beide Vereine auf so engem Raum genau dort gegründet wurden, genau da wo Ahrenbeck wenige Jahre zuvor gewirkt hatte.

In der Bremer Chronik finden sich keine weiteren Hinweise auf Schach-Aktivitäten in Bremerhaven bis zum Ende des Krieges. Erst am 26.01.1925 wird berichtet, dass Schachvereine aus Wesermünde und Alt-Bremerhaven an einer von der Bremer Schachgesellschaft organisierten Simultanveranstaltung mit Ex-Weltmeister Dr. Emanuel Lasker teilnahmen. Bei dem Wesermünder Verein dürfte es sich vermutlich um den ursprünglichen Geestemünder Verein (1905) gehandelt haben.

Inzwischen war aus dem Zusammenschluss der niedersächsischen Gemeinden Geestemünde und Lehe die neue Verwaltungseinheit ‚Wesermünde‘ entstanden.

Beim Osterkongress des Landesverbandes Weser-Ems in Oldenburg (19.-22.4.1934) mit 21 Teilnehmern errangen in einem sieben Runden Turnier in der Meisterklasse die beiden Spieler aus Wesermünde Endelmann und Hamann die Plätze 9 und 19.

Am 9. und 10. Juni 1934 lud der Schachklub des Dampfers ‚Europa‘ in Zusammenarbeit mit dem Großdeutschen Schachbund zu einer nationalen Schachpropagandafahrt nach Bremerhaven und Helgoland ein. Die Schachfreunde kamen aus allen Teilen des Reichs mit Bus, Bahn und Fahrrädern angereist. Die Veranstaltung begann am Sonnabend-Nachmittag mit einem Empfang auf dem Dampfer Europa. Am Rednerpult vor dem Schiff sprachen Kapitän Scharf, der Leiter des Schachbundes, Zander, und zum Schluss der Leiter des Saarländischen Schachverbandes, Bromberg.  Der Schachteil des ersten Tages fand in der Stadthalle von Bremerhaven statt. Man sah aus dem Binnenlande Schachspieler aus Wittenberge, Chemnitz, Homburg (Saar), Kassel, Saarbrücken, Frankfurt a. M., Sulzbach, Völklingen dabei, außer den Spielern noch, die aus den norddeutschen Städten kamen.

Carls und Ahues von der Bremer Schachgesellschaft spielten simultan. Der Tag klang mit Tanz im Grünen Saal des Bahnhofs am Meer (Columbus-Bahnhof) aus. Am Sonntag stach der Dampfer Roland mit der großen Schachgemeinde nach Helgoland in See.

Auf dem Weg zur Gaumannschaftsmeisterschaft wurde der Wesermünder Verein am 18. 11. 34 in Osterholz-Scharmbeck gestoppt. Die Wesermünder Spieler unterlagen der BSG: Endelmann – Carls (Brett 1), Dr. O. Antze – Hamann (Brett 2)). Endelmann und Hamann sind die ersten Wesermünder Spieler, die in der Keller Chronik namentlich benannt werden.

1935 schrieb der Wesermünder Oberbürgermeister Walter Delius eine Denkschrift an das Reichsministerium des Innern mit dem Wunsch, die Städte Wesermünde und Bremerhaven zu vereinigen.

1939 wurde das zum Stadtstaat Bremen gehörende Bremerhaven in Wesermünde eingegliedert, wobei das Hafengebiet größtenteils bei der Stadt Bremen verblieb und seitdem das Stadtbremische Überseehafengebiet Bremerhaven bildet. Vermutlich führte dies dann auch zu einer Fusion des Alt-Bremerhavener Vereins mit dem Schachverein Wesermünde. 

Die Keller Chronik berichtet für dieses Jahr: „Die drei ältesten Klubs in der Region sind die Bremer Schachgesellschaft (1877), der Wilhelmshavener (1887) und der Oldenburger Schachklub (1892). Wesermünde ist ein weiterer Stützpunkt. Um sie herum und zwischen ihnen arbeiten rund zwei Dutzend z. T. recht rührige und starke Gemeinschaften“.

Eine weitere Landesmeisterschaft fand im Kriegsjahr 1943 statt. Auch hier fand der Name eines Wesermünder Spielers: „Der Endstand im Meisterschaftsturnier: 1. Hoffmann (Focke-Wulf) 6 1/2 aus 7, … Im Hauptturnier siegte Almstedt (AG Weser). … Neick (Wesermünde) erreichte den 4. Platz.“

Der Neustart nach dem Krieg

Ab September 1945 wurden in Bremen, das Teil der amerikanischen Besatzungszone war, kommunale Sportgruppen zugelassen. Vereine durften zunächst nicht (wieder-)gegründet werden. Die ‚Schachgesellschaft Wesermünde‘ nahm als erster Schachverein auf dem  heutigen Stadtgebiet Bremerhavens als Schachgesellschaft Wesermünde 1945 den Spielbetrieb auf.

Der nach Schweizer System ausgetragene Kampf um den Titel eines Landerverbandsmeisters von Weser-Ems 1946 endete mit einem Bremer Sieg. Heemsoth, Bremer Schachgesellschaft, gelang es, sämtlich Konkurrenten zu schlagen und somit 9 Punkte aus 9 Partien zu erzielen. … Endelmann, Wesermünde, belegte im Meisterturnier den geteilten 12. Platz bei 14 Teilnehmern.Im Hauptturnier erkämpften sich den Aufstieg [in die Meisterklasse] Neik 7 ½ P. und Wollnick 7 P., beide Wesermünde.“

Am 21. Januar 1947 wurde durch die Deklaration Nr. 3 des amerikanischen Militärgouverneurs in Deutschland die Stadt Wesermünde in das Land Bremen eingegliedert, so dass die gesamte Stadt und die Häfen in Bremerhaven in der amerikanischen Besatzungszone lagen. Daraufhin wurde der Wesermünder Verein, der wahrscheinlich schon vor dem Krieg bestand in ‚Schachgesellschaft Bremerhaven (SGB)‘ umbenannt. Der im Vorjahr aus dem Hauptturnier in die Meisterklasse aufgestiegene Neik belegte bei 2. Osterturnier nach dem Krieg, 1947, den 13. Platz.

Auch am Osterturnier 1951, das von Gründonnerstag bis Karsamstag gespielt wurde, war Neik in der Meisterklasse vertreten. Da die Spieler Neik und Endelmann beide ursprünglich für den Schachclub Wesermünde (ehemals Schachclub Geestemünde) spielten, nach der erneuten Umbenennung der Stadt (1947) in Bremerhaven aber für die Schachgesellschaft Bremerhaven, dürfte es sich bei den drei genannten Vereinen um einen Verein gehandelt haben, der wahrscheinlich von 1904 – 2000 mit mehrmals wechselndem Namen bestand.

Für das Jahr 1949 verzeichnet die Keller Chronik in Schachverband Weser Ems insgesamt 29 Verein. Als einziger Verein aus Bremerhaven wird die ‚Schachgesellschaft Bremerhaven‘ mit Ihrem Vorsitzenden, Franz Overdiek, genannt.

Im Jahr 1949 nennt auch C.D. Meyer für den Schachverband Weser Ems, zu dem auch Bremerhaven damals gehört lediglich einen Verein: „Schachgesellschaft Bremerhaven“ (S. 224).

Auf Landesebene konnten sich zwischen 1949 und 1999 nur zweimal Bremerhavener Spieler in die Siegerlisten eintragen: 1967 siegte Schmidt von der Schachgesellschaft Bremerhaven bei den Weser-Ems Meisterschaften und 1991 Olaf Pienski von den Schachfreunden Leherheide bei der Meisterschaft des Landesschachbundes Bremen.

Ich erinnere mich, dass ich als ich 1997 meinen Wohnsitz nach Bremerhaven verlegt hatte, einmal an einem Spielabend der Schachgesellschaft Bremerhaven in Geestemünde teilnahm. Aus familiären Gründen habe ich damals auf eine Wiederaufnahme des aktiven Schachsports verzichtet.

Nachdem die traditionsreiche Schachgesellschaft Bremerhaven, die in Ihren Ursprüngen ab spätestens 1905 bestand, im Jahr 2000 wegen Mitgliederschwund aufgelöst wurde, wechselten einige Spieler zu den SF Leherheide.  Der Verein ist heute (2021) der älteste und größte Schachverein auf dem Stadtgebiet Bremerhavens.

Es gibt es in Bremerhaven drei Vereine: SF Leherheider, SG Stotel/Loxstedt und seit 2020 den ‚Online Schachclub – Bremerhavener Schach-Gesellschaft‘. Letztere bilden seit 2021 die Spielgemeinschaft ‚Stotel/Loxstedt/Bremerhaven‘ mit Mannschaften in der Stadtliga und C-Klasse.

Der Online Schachclub hat sich zum Ziel gesetzt, den Schachsport in der Innenstadt Bremerhavens neu zu beleben und knüpft daher mit dem Beinamen „Bremerhavener Schach-Gesellschaft“ auch an die Tradition der Bremerhavener Innenstadtvereine an.

Quellen: Keller Chronik der Bremer Schachgesellschaft 1877, Die Jahrhundert-Meisterschaft im Schach, C. D. Meyer und T. Schelz-Brandenburg